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Die zentrale pathogenetische Hypothese, dass die fortgesetzte Virusreplikation die Progression der HIV-Infektion bestimmt, hat sich bestätigt. Dementsprechend verhindert eine antiretrovirale Therapie durch Hemmung der Virusreplikation die Krankheitsprogression, führt zur Rückbildung HIV-bedingter Symptome und zu einer klinisch relevanten Immunrekonstitution.
Die verbesserten Therapiemöglichkeiten haben HIV von einer tödlich verlaufenden Infektion in eine gut behandelbare chronische Erkrankung gewandelt. Voraussetzung hierfür ist jedoch die frühzeitige Diagnose und dementsprechend früher Therapiestart. HIV-positive Menschen können mittels moderner HIV-Therapien ein Leben bei guter Gesundheitsprognose führen. Dank dieser Erfolge ist die statistische Lebenserwartung ist mit der Gesamtbevölkerung gleichzusetzen.
Zusammensetzung und Start einer HIV-Therapie
Für eine effektive HIV-Therapie werden mehrere antiretrovirale Substanzen aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen miteinander kombiniert.
Grundsätzlich folgt die Auswahl der Therapie internationalen und nationalen Behandlungsrichtlinien, die von Expert*innen konstant aktualisiert und bei Bedarf angepasst werden. Bei der Auswahl des Therapieregimes, kann dabei individuell auf die Patient*innen eingegangen werden. Etwa in Bezug auf bestehende Komorbiditäten (z.B. kardiovaskuläre oder renale Vorerkrankungen, Koinfektionen) oder auf potentielle Wechselwirkungen mit anderen einzunehmenden Medikamenten. Gleichfalls kann der persönliche Lebensstil der Menschen mit HIV Einfluss auf die Wahl des Therapieregimes haben.
Im Regelfall besteht die Kombination aus 3 Substanzen: 2 Substanzen als sogenanntes „Therapie-Backbone“ aus der Gruppe der NRTI (Nukleosidische Reverse Transkriptase Inhibitoren) in Kombination mit 1 Substanz als „Core Agent“ oder „Active Agent“ aus einer der anderen Wirkstoffklassen: PI (Protease Inhibitor) oder INI (Integrase Inhibitor) oder NNRTI (Nicht Nukleosidische Reverse Transkriptase Inhibitor).
Inzwischen hat dieses Therapiemodell einen Paradigmenwechsel erfahren. Auch Kombinationen aus 2 Substanzen unterschiedlicher Wirkstoffklassen haben sich als effektiv gezeigt und stehen als Therapieoption zur Verfügung (Dualtherapie, oder 2DR für „two drug regimen“ genannt). Aussschlaggebend für diese Entwicklung neuerer Integrase-Inhibitoren, welche sich als besonders effektiv bewiesen haben.
Monotherapien, also der Einsatz von ausschließlich einer Substanz, sind nicht empfohlen.
Auch in Bezug auf den Zeitpunkt, an welchem mit einer HIV-Therapie begonnen werden soll, hat es im Laufe der Zeit einen großen Wandel gegeben. Früher wurde mit dem Therapiestart zugewartet, um die mögliche Belastung durch die Nebenwirkungen der Medikamente gering zu halten. Heute ist dies dank der optimierten und damit signifikant besser verträglichen Medikamente nicht mehr die empfohlene Vorgehensweise.
Es gilt mittlerweile als eindeutig nachgewiesen und anerkannt (insbesonders durch die START Study), dass ein früher Therapiebeginn die individuelle Prognose maßgeblich positiv beeinflusst und mit geringerer Mortalität und Morbidität einhergeht. Dementsprechend wird der Therapiestart so rasch wie möglich nach Diagnosestellung empfohlen, teils bereits am Tag der Diagnose (rapid ART Start bzw. same day initiation of ART). Die übergeordnete Strategie heißt demnach „Test and Treat“.
Zusätzlich zum gesundheitlichen Vorteil für die Menschen mit HIV, ist der frühe Therapiestart wichtiger Bestandteile der Strategie „Treatment as Prevention (TasP)“. TasP umschreibt als Schlagwort die Tatsache, dass die Transmissionswahrscheinlichkeit mit der Höhe der Viruslast in Zusammenhang steht, welche wiederum durch die Therapie beeinflusst wird. Diagnose, Therapiestart und supprimierte Viruslast stellen somit die drei wichtigsten Säulen in der HIV-Behandlungskaskade dar.
Wirkstoffklassen der HIV-Therapie
Die antiretrovirale Therapie ist eine Kombination mehrerer Medikamente, mit deren Hilfe man die Virusreplikation unterbinden kann. Die HIV-Therapie wird weiterhin von 5 Klassen an Wirkstoffen dominiert, auf welche hier näher eingegangen wird. Diese Wirkstoffe greifen an 4 unterschiedlichen Schritten in die Virusvermehrung ein:
1) Zunächst muss das HI-Virus an eine Zelle binden und mit ihr verschmelzen. Diesen Schritt können sogenannte Entry-Inhibitoren blockieren. Diese Substanzklasse besteht zurzeit aus einem Attachement-Inhibitor, einem Fusions-Inhibitor und einem Korezeptorantagonisten.
2) Ist HIV in die Zelle gelangt, wird nachfolgend das genetische Material des Virus von RNA in DNA umgeschrieben. Diesen Vorgang führt ein Enzym namens Reverse Transkriptase durch. Zwei Wirkstoffklassen setzen hier an: Die NRTIs (Nukleosidische Reverse Transkriptase-Inhibitoren) stören als „falsche Bausteine“ diesen Vorgang. Die NNRTIs (Nicht-nukleosidische Reverse Transkriptase-Inhibitoren) besetzen das aktive Zentrum des Enzyms und hemmen so die weitere Vermehrung des Virus.
3) Die neu transkribierte DNA der HI-Viren wird daraufhin in den Zellkern transportiert und in das menschliche Genom eingebaut. Dieser Schritt kann durch Integrase-Inhibitoren unterbunden werden.
4) Ausgehend von dieser Pro-DNA (HIV in die Erbinformation der Zelle integriert), werden bei Aktivierung neue Virusbestandteile produziert. Dazu wird vom HI-Virus ein Enzym namens HIV Protease benötigt, um in dieser Reproduktionsphase seine eigenen Proteine korrekt abzulängen und zusammensetzen zu können. Wenn Protease-Inhibitoren dieses Enzym blockieren, können lediglich defekte und nicht-infektiöse Viruspartikel entstehen.
Adhärenz
Entscheidend für den anhaltenden Therapieerfolg und um die Ausbildung von Resistenzen zu vermeiden, ist regelmäßige und durchgehende Einnahme der HIV-Therapie. Die sogenannte Adhärenz wird dabei von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflußt.
Die vereinfachten Einnahmeschemata der heutigen Therapien (oft als single-tablet-regimen) sowie die signifikant Nebenwirkungs-ärmeren Medikamente, spielen bei der Adhärenz eine entscheidende Rolle. Im Zuge dieses medizinischen Fortschritts und steigender Lebenserwartung der Menschen mit HIV, hat sich die Therapie als akute Überlebensstrategie in eine lebenslange Medikation gewandelt. Für Behandler*innen und Patient*innen ist die nachhaltige Adhärenz und Verträglichkeit somit in den Vordergrund des langfristigen Therapieerfolges gerückt.
Resistenzen
Das HI-Virus ist (in Folge der fehlenden proof-reading-Funktion der Reversen Transpriptase) sehr wandlungsfähig und äußerst flexibel. Es kann daher gegen jede antiretrovirale Substanz Virusvarianten selektionieren, welche eine hochgradige Einschränkung der Empfindlichkeit (Resistenz) aufweisen. Die Gabe von mehreren Wirkstoffen in Kombination und in ausreichender Dosierung ist eine wirksame Methode, um eine Resistenzselektion zu verhindern und eine langfristige Wirkung der Therapien zu gewährleisten.
letztes Update der Seite: 08/2024
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